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Der Superhase

Hans Knabberrabber lag im Gras und träumte. Woher kommen die Wolken und wohin fliegen sie? Wie werden die Mohrrüben rot in der schwarzen Erde? Warum sieht ein Hase wie der andere aus? “Ach”, seufzte Hans Knabberrabber, “die Hasenohren sind lang, aber das Hasenleben ist kurz.” Und schon nagte die Frage in ihm, die iihn am meisten beschäftigte: Wie werde ich berühmt? “Wer berühmt ist, ist anders als die anderen - also: wer anders ist als die anderen wird berühmt.” So dachte Hans Knabberrabber und beschloß, anders zu werden als die anderen.. Am nächsten Morgen, als alle Hasen stumm ihre Mohrrüben zum Frühstück sammelten, pflückte er Pusteblumen. Dazu sang er laut. “Verrückt”, mümmelten die anderen Hasen und wunderten sich. “Hans Knabberrabber hat einen Rappel!” “Vielleicht macht ihn eine Mohrrübe wieder normal”, dachten die anderen und schenkten ihm eine. Aber Hans knabberte die Mohrrübe im Kopfstand und schielte dabei. “Erstaunlich!” riefen einige Hasen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. “Ich bin auf dem richtigen Weg”, dachte Hans Knabberrabber, “ich werde berühmt.” Und sogleich behauptete er: “Ich kann schwimmen!” Neugierig folgten ihm die Hasen zum Mühlteich. Langsam kletterte Hans auf das Mühlrad, richtete sich stolz auf und rief: “Ich bin eine Ente!” Dann sprang er los. die Hasen hielten die Luft an: Hans Knabberrabber plumpste ins Wasser wie ein Stein. Natürlich konnte Hans kaum die Ohrenspitzen über Wasser halten. Aber die Strömung trieb ihn ans Ufer, auch wenn er sich später nicht mehr daran erinnern konnte. Er hatte fünf Liter Wasser geschluckt - aber er war am Leben. Im Triumphzug wurde Hans der schwimmende Hase zurückgetragen und wie ein Held gefeiert. Und sogleich prahlte er: “Ich kann auch fliegen!” Mit geschwellter Brust ging er auf den nächsten Baum zu. Atemlos beobachteten die Hasen, wie er höher und höher kletterte. oben hockte er sich auf eine dicken Ast, ruderte wild mit den Armen und schrie: “Ich bin ein Uhu!” Dann breitete er die Arme aus und sprang. Die hasen schrien laut auf vor Schreck und schlugen entsetzt die Pfoten vor die Augen. Wie erstarrt saßen sie da. Erst als sie Schritte hörten, wagten sie, zwischen den Pfoten hervorzublinzeln: Da stand Hans Knabberrabber ganz lebendig vor ihnen.

“Er kann fliegen wie ein Vogel”, staunten sie. Dass Hans auf ein weiches Moospolster gefallen war, hatten sie nicht gesehen. In Windeseile sprach sich im Hasenland herum, dass Hans ein besonderer Hase war, ein Hase, der schwimmen und fliegen konnte, ein Superhase. Und wer wollte das nicht sein, ein Superhase? Wer wollte nicht schwimmen und fliegen können? Viele machten es ihm nach. Und so kam es, dass der Fischer sich über die ertrunkenen Hasen wunderte, die im Mühlteich trieben. Der Förster wunderte sich über die Hasen, die mit gebrochenem Genick unter den Bäumen lagen. Und die Zeitungen berichteten über das seltsame Hasensterben. Hans Knabberrabber war berühmt. Er machte sich einen dicken Knoten in jedes Ohr, damit ihn alle erkennen konnten. Was kümmert es ihn, daß er nicht mehr hörte? Denn wer hört schon mit Knoten in den Ohren? Das dachte sich auch der Fuchs. Am gleichen Abend noch holte er sich den berühmten Hans Knabberrabber - und er schmeckte ihm wie jeder andere Hase. Ein Denkmal bauten ihm die Hasen in einem Park, auf grünem Rasen. Und auf dem Marmor steht geschrieben: Er konnte kopfstehen, schwimmen, fliegen!

von Helme Heine

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