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Der Raum der Schulung

Wom lebte ein gutes Leben. Er lebte in einer Kultur, in der er nicht hungern musste, denn es gab alles reichlich und im Überfluss. Ihm war auch niemals kalt, denn er hatte immer Schutz. Während Wom aufwuchs, lernte er viele Dinge über sich selber: Er lernte, was ihn glücklich machte, und er fand Sachen, die er an seine Wand hängen und betrachten konnte, sodass sie ihn glücklich machten. Wom lernte auch die Dinge kennen, die ihn traurig machten, und er lernte, wie er diese Dinge an die Wand hängen konnte, wenn er traurig sein wollte. Wom fand außerdem heraus, was ihn wütend machte und was er an der Wand anbringen konnte, wenn er sich dazu entschied, wütend zu sein.

Wie die anderen Menschen auch, hatte Wom viele Ängste. Obwohl er alles hatte, was er zum Leben brauchte, fürchtete er andere Menschen und Situationen. Er fürchtete die Menschen und Situationen, die Veränderungen bringen konnten, denn er fühlte sich sicher und stabil mit der Situation, wie sie war, und er hatte hart dafür gearbeitet, es so weit zu bringen. Wom fürchtete Situationen, die Kontrolle über seinen stabilen, festgelegten Raum zu haben schienen, und er fürchtete die Menschen, die diese Situationen kontrollierten.

Wom lernte von den anderen Menschen etwas über Gott. Sie erzählten ihm, dass Menschen unbedeutend seien, und Wom glaubte ihnen. Schließlich gab es Millionen von Menschen, aber nur einen einzigen Gott. Ihm wurde gesagt, Gott sei alles und er, Wom, sei nichts, aber Gott würde in seiner grenzenlosen Liebe seine Gebete erhören, wenn er nur ernsthaft betete und während seines Lebens an-ständig bliebe. Wom, als spiritueller Mensch, betete also zu Gott, dass die Menschen und Situationen, die er fürchtete, keine Veränderungen bringen würden, sodass sein Raum ihm ohne Veränderungen erhalten bliebe ... und Gott erhörte sein Gebet.

Wom fürchtete die Vergangenheit, denn sie erweckte unschöne Erinnerungen in ihm; also bat er Gott, diese Dinge aus seiner Erinnerung fern zu halten ... und Gott erhörte sein Gebet. Wom fürchtete sich auch vor der Zukunft, da sie Möglichkeiten für Veränderungen beinhaltete und dunkel, unsicher und verborgen war. Wom betete also zu Gott, dass die Zukunft keine Veränderungen bringen möge ... und Gott erhörte sein Gebet.
Wom begab sich niemals weit in seinen Raum hinein, weil sich alles, was er als Mensch wirklich benötigte, in nur einer Ecke des Raumes befand. Wenn ihn Freunde besuchten, war dies die Ecke, die er ihnen zeigte ... und er war zufrieden damit.

Im Alter von 26 Jahren bemerkte Wom zum ersten Mal eine Bewegung in der anderen Ecke seines Raumes. Dies beängstigte ihn schrecklich und er betete inständig zu Gott, dass dies vorübergehen möge, denn er wies darauf hin, dass er nicht alleine in seinem Raum war. Das war ihm unerträglich. Gott erhörte Woms Gebet und die Bewegung hörte auf und Wom fürchtete sich nicht länger.

Als Wom 34 Jahre alt war, tauchte die Regung wieder auf und Wom bat wiederholt sehr beängstigt darum, dass sie aufhören möge. Die Bewegung hielt wieder inne ... aber diesmal erst, nachdem Wom in der Ecke etwas wahrgenommen hatte, was er niemals zuvor bemerkt hatte ... eine andere Tür! An der Tür befand sich eine merkwürdige Inschrift und Wom fürchtete die Bedeutung der Inschrift.
Wom fragte religiöse Führer über diese fremde Tür und die Bewegung und sie warnten ihn, sich der Tür zu nähern, denn sie sagten, es sei das Tor des Todes und er würde sicherlich sterben, wenn er seine Neugierde in die Tat umsetzen würde. Sie sagten ihm auch, dass die Schrift an der Tür das Böse sei und dass er sie niemals wieder ansehen solle. Stattdessen ermutigten sie ihn dazu, an ihren Ritualen teilzunehmen und sein Talent und seine Verdienste der Gruppe zukommen zu lassen... und dafür würde es ihm gut ergehen.

Als Wom 42 Jahre alt war, kehrte die Bewegung wieder zurück. Obwohl Wom diesmal nicht so verängstigt war wie zuvor, bat er doch abermals darum, sie möge aufhören... und das tat sie auch. Gott war gut zu ihm. Er erfüllte seine Wünsche umgehend und vollständig. Wom fühlte sich gestärkt durch die Ergebnisse seiner Gebete.

Als Wom 50 Jahre alt war, wurde er krank und verstarb, obwohl ihm dies, als es geschah, nicht wirklich bewusst war. Er bemerkte wieder die Bewegung in der Ecke und betete noch einmal darum, sie möge aufhören; aber diesmal wurde sie stattdessen deutlicher und kam näher. In Furcht erhob sich Wom von seinem Bett und stellte fest, dass sein irdischer Körper auf dem Bett verblieb und er selber sich in geistiger Gestalt bewegte. Als die Bewegung näher kam, versuchte Wom sie zu erkennen. Er war neugierig anstatt ängstlich und sein spiritueller Körper erschien ihm irgendwie ganz natürlich.

Nun konnte Wom sehen, dass es sich in Wirklichkeit um zwei heranschreitende Wesen handelte. Die weißen Gestalten strahlten, als würden sie aus einem inneren Licht heraus leuchten. Schließlich standen sie unmittelbar vor ihm und Wom staunte über ihre majestätische Ausstrahlung ... aber er hatte keine Angst.

Eine der Gestalten sprach zu ihm und sagte: »Komm, mein Lieber, es ist Zeit zu gehen.« Die Stimme war voll vertrauter Liebe und Sanftmut. Wom ging ohne Zögern mit den beiden. Er erinnerte sich langsam, wie vertraut ihm dies war, und als er zurücksah, sah er seinen toten Körper scheinbar schlafend auf dem Bett. Er war von einem wunderbaren Gefühl erfüllt und konnte es nicht erklären. Eines der Wesen nahm ihn bei der Hand und führte ihn geradewegs zu der Tür mit der fremden Inschrift. Die Tür öffnete sich und alle drei gingen hindurch.

Er befand sich in einem langen Gang mit Türen zu beiden Seiten. Wom dachte bei sich: »Dies ist in der Tat ein wesentlich größeres Haus, als ich es mir vorgestellt hatte!« Er nahm die erste Tür wahr, auf der er noch weitere der merkwürdigen Schriftzeichen bemerkte, und er fragte eines der weißen Wesen: »Was ist hinter der ersten Tür rechts?« Ohne ein Wort öffnete die weiße Figur diese Tür und wies Wom den Weg hindurch. Als er eintrat, war er überwältigt. Vom Boden bis zur Decke war der Raum mit Reichtümern erfüllt, die er sich in seinen wildesten Träumen nicht hätte vorstellen können! Da waren Goldbarren, Perlen und Diamanten. In einer Ecke allein befanden sich genug Rubine und Edelsteine für ein gesamtes Königreich. Er sah seine Begleiter an und sagte: »Was ist dies für ein Ort?« Der Größere der beiden sprach und antwortete:
»Dies ist dein Raum der Fülle, wenn du ihn betreten hättest. Er gehört auch jetzt zu dir und wird dir hier für die Zukunft erhalten bleiben.« Wom staunte über diese Information.

Als sie wieder in den Gang zurückkamen, fragte Wom, was hinter der ersten Tür auf der linken Seite sei ... es handelte sich um eine weitere Tür mit einer Inschrift, die langsam Sinn für ihn bekam. Als das weiße Wesen die Tür öffnete, sagte es: »Dies ist dein Raum des Friedens, wenn du ihn gewünscht hättest.« Wom betrat mit seinen Freunden den Raum und fand sich in einem dichten weißen Nebel wieder. Der Nebel schien irgendwie lebendig zu sein, denn er umhüllte sofort seinen Körper, und Wom atmete ihn tief ein. Es überkam ihn ein großes Wohlgefühl und er wusste, dass er niemals wieder Angst haben würde. Er fühlte Frieden, wo niemals zuvor Frieden gewesen war. Er wäre gerne hier geblieben, aber seine Begleiter bewogen ihn dazu weiterzugehen, und sie kamen zurück in den langen Gang.

Zur Linken zeigte sich ihnen nun noch eine weitere Tür. »Was ist in diesem Raum?«, fragte Wom. »Dies ist ein Ort, den nur du allein aufsuchen und betreten kannst«, sagte die kleinere weiße Figur. Wom trat in den Raum und wurde sofort von einem goldenen Licht erfüllt. Er wusste, was es war. Es war die Essenz seines Selbst, seine Erleuchtung, sein gesamtes Wissen um Vergangenheit und Zukunft. Es war Woms Lager für göttlichen Geist und Liebe. Wom weinte voller Freude und blieb, die Wahrheit und das Verstehen in sich aufnehmend, für eine sehr lange Zeit dort. Seine Begleiter kamen nicht in diesen Raum und warteten geduldig auf ihn.

Schließlich trat Wom wieder zurück in den Gang. Er hatte sich verändert. Er sah seine Begleiter an und erkannte sie. »Ihr seid die Geistführer«, sagte Wom. »Nein«, antwortete der Größere von den beiden, »wir sind deine Geistführer.« In vollkommener Liebe fuhren sie fort: »Wir sind seit deiner Geburt nur aus dem einzigen Grund bei dir, dich zu lieben und dir den Weg zur Tür zu zeigen. Du warst verängstigt und hast um unseren Rückzug gebeten ... also haben wir uns zurückgezogen. Wir stehen in Liebe in deinem Dienst und wir ehren deine Inkarnation, die Verkörperung deines Ausdrucks.« Wom entnahm ihren Worten keinerlei Tadel. Er erkannte, dass sie nicht über ihn richten wollten, sondern ihn ehrten, und er fühlte ihre Liebe.

Wom schaute wieder auf die Türen und nun war er in der Lage, die Inschriften zu lesen! Während er den Gang entlanggeführt wurde, sah er Türen mit den Aufschriften:
HEILUNG, VERTRAG und eine, auf der stand FREUDE. Wom sah sogar noch mehr, als er sich gewünscht hätte, denn im Weiteren sah er Türen mit den Namen ungeborener Kinder ... und sogar eine mit der Inschrift WELTFÜHRER. Wom erkannte langsam, was ihm entgangen war. Und als ob sie seine Gedanken kannten, sagten die Geistführer: »Mache dir keinen Vorwurf, denn das ist unangebracht und dient deiner Größe nicht.« Wom verstand nicht ganz. Er schaute zurück, den langen Gang entlang, bis zu dem Punkt, an dem er ihn betreten hatte, und er las die Inschrift auf der Tür - der Tür, die ihm ursprünglich so viel Angst gemacht hatte. Die Inschrift bestand aus einem Namen ... es war sein Name, sein wirklicher Name ... und nun verstand Er vollkommen.

aus Kryon, Denke nicht wie ein Mensch

 

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